Ich lernte Valentín Batista in einer Karnevalsnacht kennen, damals im Jahr 1937. Man tanzte bei José Bentancor, dem von der Costa de Pando. Es war ein Tanz der Kanaren, der Bauern, der die Karnevalsnacht, wie als Verpflichtung, mit lautem Geschrei und kurzem Galopp erfüllte. Das Fest wurde in einem grossen Schuppen mit Erdboden veranstaltet, in dem während des ganzen Jahres Ginsterstrohballen, Maissäcke, Zwiebelschnüre und Haferballen gelagert wurden.
Auf einem Podium, inmitten gelblich bis bläulichen Nebels, stachelten die Musiker mit gegenläufigen Rhythmen eines Akkordeons und einer Gitarre das Tanzfest an. An den Gitarristen erinnere ich mich nicht; wenn ich mir sein Instrument vor Augen führe, höre ich nur wieder ein epileptisches Zittern, ein dumpfes Trampeln von sechs jämmerlichen Seiten. Der Akkordeonist dagegen glich einem Sturm; er bog sich über sein Instrument, richtete sich wie von einer Schlange gebissen auf, tauchte für zwei Sätze wieder unter und pflügte mit den Fersen den Bretterboden des Podiums. Sie nannten ihn lästernd den Feldarbeiter...
Und in der Mitte des Saales tanzte Valentín. Wie ein Kardinalsvogel unter Spatzen. Wie ein eingebildeter Gott, im Widerspruch zu den Begehrlichkeiten der glücklichen Paare, dem gotteslästerlichen Lärmen der Leute, den kondensierten und unflätigen Dampftropfen, die vom Zinkdach regneten. Mir scheint, als ob ich ihn sehe: Mager wie ein Vogel, in seinen schwarzen Sakko gestopft, mit einem weiss betupften Halstuch, stilisiert durch seine Röhrenhose, mit bestickten, mit der Zeit verblassten Schlappen. Plötzlich hielt er an; machte einen Corte; zeichnete sich als Silouette ab, rituell, priesterlich, ähnlich einer Gottesanbeterin, und fand langsam wieder zum Canyengue, um Halbmonde und Stiefelputzer zu mahlen und das unendliche Macramee der Tangofiguren zu flechten.
Er begleitete eine ab und zu von unterdrückten Lachern erschütterte Dicke, träge in der Hüfte und leichtfüssig, die sich inmitten des unehrerbietigen Strudels der Fusstreter und falsch plazierten Schritte, wie eine Barkasse von einem Schlepper, mitziehen lies. Der Feldarbeiter führte - im landwirtschaftlichen Sinne - den Tango Cuando llora la milonga
aus. Er gelang ihm äusserst schlecht, gringoisiert, stockend. Aber Valentín befand sich ausserhalb des Wirrwars in einer anderen Welt, und hörte ein imaginiertes Instrument, das in seiner Erinnerung erklang und in seinem Herzen schlug.
Nachdem er den Tango beendet hatte, setzte sich Valentín zu der Dicken und blieb allein, schweigsam, starr wie eine Spindel, die Schultern abgewinkelt, gewappnet mit dem Aussehen eines freien Compadritos, ohne zu wissen, was er inmitten der ländlichen Kneipe zu suchen hatte.
Ich war damals ein grosser Junge von siebzehn Jahren und war mit Freunden aus der Gegend, die Valentín kannten, zum Tanzen ausgegangen. Ich bat sie, mich ihm vorzustellten. Er schaute unverwandt auf meine Stiefel und meine weiten uruguayischen
Hosen (=a la orientala)... Valentín begriff, dass auch ich nicht von den Feldern kam. Dann suchte er einen Tisch im Freien, unter einer Laube, bestellte einen doppelten Schnaps und beantwortete alle meine Fragen.
Valentín war krank. Sein Aktionszentrum hatte immer im Bereich des Bahnhofs Goes gelegen, in der Gegend des Mercado Agrícola, wo er manchmal als Eule
, als Kundschafter für Leichenbestatter arbeitete. Nun lebte er seit einigen Monaten bei seinem Bruder im Kanarenlager und langweilte sich. Er glaubte nicht an seine Besserung:
- Ich bin kaputt, Täubchen. Ein grosser Mistkäfer, viel getrunken, ein Leben für'n Furz. Mir bleibt nur das Spielfeld der Milonga, aber hier kann ich's nicht leuchten lassen: Die Mädels sind alles Klotzfüsse.
Ich ging noch viele Male zu Valentín, um mit ihm zu reden. Zu blossem Pfeifen brachte er mir alle Tangoschritte bei, indem er mit mir tanzte, wie es früher die Canfinfleros in den Ecken der Kantinen taten: Mann mit Mann. Wenn wir uns an die Nacht erinnerten, in der ich ihn kennenlernte, als er sich allein behaupten musste, ohne Partnerin, wiederholte er einige Worte, die sich mir für immer eingeprägt haben:
- Der Tango ist für den Glanz des Mannes. Wenn die Percanta dem Zug folgt und ihn mit Verzierungen begleitet, besteht man die Academia. Wenn nicht, geht alles auf's Konto des Tänzers. Vergessen Sie nicht - er duzte mich nie, obwohl ich ein Jüngling war und er ein Veteran - der Tango ist eine Männersache, wie der Zweikampf. Ein guter Tänzer ist ein Messerkämpfer der Extraklasse: Er markiert die, die schlechter sind.
Ein Jahr später starb Valentín. Ich verstand ihn erst viel später. Ich hätte gerne einen der Griffe der schlichten Kiste getragen, die seinen dürren Körper unter die Erde des Bauernfriedhofs brachte. Ich werde nie vergessen, was er mir erzählte und mir vom Frühling des Tango beigebracht hat. Daher widme ich diese so kurzen, vielleicht undurchsichtigen Notizen seinem Gedenken.
(Übers.: Alexander Mága)